Als Öffentlichkeitsarbeiter einer Waldorfschule werde ich immer wieder mit der Frage konfrontiert: „Wozu Öffentlichkeitsarbeit?“. Diese Frage entsteht sowohl aus meinem eigenen Verständnis von Waldorfschule, als auch aus dem Kollegium. Wollen wir uns anbiedern? Haben wir so wenig natürlichen Zulauf, dass wir Werbung machen müssen?
Um diese Frage wirklich beantworten zu können, möchte ich zwei Beispiele nennen, welche mir in den letzten Jahren begegnet sind.
Die Jahresarbeit einer meiner Töchter führte uns ins Vitra Design Museum nach Weil am Rhein. Vitra wurde 1950 in der Schweiz als Familienunternehmen gegründet. Rolf Fehlbaum übernahm 1977 die Leitung und durch bestimmte Umstände wurde die Produktionsstätte nach Deutschland verlagert. Die Produktionshallen und das Vitra Design Museum wurden von namhaften Architekten gebaut: Gehry, Citterio, Grimshaw, Ando, Hadid und Siza. Zunächst ist es sehr erstaunlich, dass Produktionshallen von derart herausragenden Architektinnen und Architekten gebaut werden. Das ist doch teuer und wozu gestaltete Produktionshallen? Vitra benötigt jedoch keine Werbung um das Geld zu verdienen um diese Architektur zu bezahlen. Die Auftragsbücher sind übervoll, neue Produktionshallen und Erweiterungen sind geplant. Man produziert für die besten Architekten, mit begehrtesten Lizenzen - hochwertige Möbel. Werbung braucht es nicht. Sie wäre eher hinderlich, weil noch mehr Kunden kämen und die Ware noch rarer würde.
Anders beim Restaurant in der Balinger Straße in Laufen (Altstadt). Wir waren mit der Familie auf dem Hörnle (Ausflug mit der in Balingen aufgewachsenen Oma nach einer Operation mit etwa der Hälfte der vielen Enkelkinder). Auf der Rückfahrt wollten wir noch etwas essen gehen. In Laufen haben wir uns verfahren und standen plötzlich vor einem alten Gasthaus. Es hatte geöffnet und wir bekamen frisch zubereitete schwäbische Spezialitäten. Das ältere Ehepaar war vor allem von den Kindern angetan und wir kamen ins Gespräch. Seit die B463 ausgebaut wurde gibt es keine Kundschaft mehr. Schon mehrere Gasthäuser haben in Laufen geschlossen. Wir haben hohe Qualität und ein gemütliches Gasthaus erlebt, welches es inzwischen nicht mehr gibt weil die Kunden ausbleiben.
Bezogen auf unsere Schulen können beide Situationen gefunden werden: Waldorfschulen mit hoher Qualität und Zulauf und Waldorfschulen mit hoher Qualität und fehlendem Zulauf. Deutlich wird, dass die letzteren eben auf sich aufmerksam machen müssen um Schüler zu bekommen. Wenn man bedenkt, wie umständlich Weil am Rhein zu erreichen ist und wie viele Menschen dort hin fahren, wird klar, dass die abgelegene örtliche Situation nicht unbedingt bedeutet, dass ein Gasthaus schließen muss.
Somit wäre eine erste Antwort gefunden: Öffentlichkeitsarbeit hilft Eltern dabei die Schule für ihre Kinder zu finden, welche sie suchen. Sie hilft Eltern beim Vergleich unterschiedlicher Schulformen. Aus der Praxis einer heilpädagogischen Schule kann hier berichtet werden, dass an dieser Schule 5,6 % aller Sonderschüler des Landes unterrichtet werden. Dabei stellen wir noch immer fest, dass selbst Eltern aus der nächsten Nähe die Schule nicht kennen (und somit nicht als Alternative für ihre Kinder in Erwägung ziehen). Wir werden also weiter auf uns aufmerksam machen. Zumal die Belegung der unteren Klassen nach wie vor Reserven aufweist. Um die 10 Schüler regelmäßig in die erste Klasse zu bekommen nehmen wir in Kauf, dass sich für die Klassenstufe 5 lange Wartelisten bilden und etwa 100 Beratungsgespräche pro Jahr geführt werden müssen.
Auf sich aufmerksam machen heißt für sich werben. Was bedeutet Werbung? Die Schule hat im eigentlichen Sinn kein „Produkt“. Es gibt möglicherweise keinen „Verkäufer“ und der „Preis“ kann nicht einfach festgelegt werden. Vokabeln aus dem Marketing versuche ich im Folgenden zu übersetzen.
Am Anfang jedes Unternehmertums steht das Unternehmensziel. Ist die Waldorfschule ein Unternehmen? Sicherlich ist die Waldorfschule ein besonderes Unternehmen. Eine freie Initiative, welche noch dazu Aufgaben übernimmt, welche sonst der Staat verwaltet. Das Ziel ist: Unterrichten von Kindern; Veränderung (Erneuerung) der Gesellschaft über Bildung; Förderung der Waldorfpädagogik usw.
Daraus lassen sich weitere Ziele entwickeln, welche zeitnah, aktuell die einzelne Schule betreffen: Erweiterung zur Ganztagsschule, Ausbau der Oberstufe, Neugestaltung der Unterstufe, Erweiterung der Abschlüsse, Bau einer Turnhalle usw.
Auch können Zielkonflikte auftreten. Diese sind etwa beim Aufbau einer neuen Schule derzeit in der Demografischen Gesamtentwicklung zu sehen. „Warum brauchen wir eine neue Schule? Momentan werden doch Grundschulen geschlossen.“
Die öffentliche Meinung spielt immer eine Rolle, weil sich das Unternehmen, die Schule in einem sozialen Kontext befindet. Dieser Kontext muss sich in der Öffentlichkeitsarbeit wiederfinden. – Er wird ganz bewusst aufgegriffen um ihn zu verändern, bzw. zu erweitern (etwa durch Qualität).
Ein Zusammenhang zwischen den Zielen und der Gesellschaft und den Zielen des Unternehmens muss hergestellt werden. Hierbei sind die Wünsche der „Kunden“ – also Eltern oder Schüler genauso zu berücksichtigen, wie das „Angebot“ („Produkt“) der Lehrer in Form von Unterricht.
Dazu ist es wichtig, dass das Image der Schule oder der gesamten Waldorfschulbewegung mit Attributen belegt ist, welche deutlich machen, dass es sich nicht um sture, fertige, weltanschauliche, steife, starre, chauvinistische, altmodische, verstaubte, unredliche, justiziable Werte, sondern um lebendige, prozessuale, lebendige, vielfältige, methodische und erlebnisreiche, menschliche Werte, vermittelt von Menschen mit fester Weltanschauung, stabiler sozialer Integration, solider Ausbildung (auch wenn sie nicht identisch mit der staatlichen Ausbildung ist), fähig im Umgang mit Ressourcen und strotzender Gesundheit (auch der Lehrer) handelt.
Dies wäre eine weitere Antwort: Öffentlichkeitsarbeit hilft Eltern dabei die Ziele der Schule zu erkennen und sich mit ihnen zu verbinden. Da das Image der Waldorfschule in der Öffentlichkeit nicht einfach dem Selbstbild einer Schule entspricht hilft sie weiterhin dieses Bild den tatsächlichen Verhältnissen anzugleichen.
Das Marketing
Grundeinstellung, Verhaltensweise, Methode
Marketing an der Waldorfschule bedeutet: Kommunikation der Grundwerte unter Darstellung der besonderen Verhältnisse für jene Menschen, welche zwar die Unternehmung Waldorfschule benötigen, sie aber noch nicht bemerkt oder nicht in dieser Form bemerkt haben.
Wo sind die Menschen, welche eine Schule – möglichst unter guten Voraussetzungen – also „die Waldorfpädagogik suchend“ brauchen. Oder besser: Eltern, welche den Auftrag ihrer Kinder, welcher bereits im vorgeburtlichen ergangen ist: „hilf mir mein Karma zu verwirklichen indem du mich auf eine Schule schickst, welche Möglichkeiten und Fähigkeiten fördert“ zu finden.
Die Einstellung, dass „…der Markt als lästige Angelegenheit angesehen wird, in dem noch lästigere Arbeitnehmer (oder Mitgesellschafter) auch noch Wünsche haben, deren Befriedigung nur zur Störung des Produktionsablaufes führt“ (Dr. Ernst Kulhavy, Linz), kann nicht zu einem guten Miteinander führen. Auch nicht in der Waldorfschule.
Um Harmonie zwischen „Markt“ und „Unternehmen“ herzustellen gibt es zwei Wege: aktiv und reaktiv. Marketing kann aktiv – forschend, immer wieder abgleichend die Wünsche der Eltern und Kinder berücksichtigen und dazu führen, dass neue Einrichtungen wie Hort oder Ganztagsschule geschaffen werden. Reaktives Marketing wäre immer nur Nachbesserung, eingeschränktes Reagieren (im schlechtesten Fall juristisch).
Wer aktives Marketing will, muss
Die Leistungsfähigkeit des Unternehmens kennen
Marktanalyse, Marktforschung und Marktbeobachtung treiben
Seine Angebote auf die Zielgruppen ausrichten
Seine finanziellen Möglichkeiten kennen
Kommunikation und Werbung betreiben
Seine Kontakte zu den Kunden gestalten
Die Grenzen des Machbaren kennen
Entwicklung und Selbstreflexion betreiben
Wer sind wir?
Diese Stelle ist – was Waldorfschulen angeht die stärkste Stelle. Jede Schule weiß genau was sie will. Diese Willensbildung ist Grundvoraussetzung und Motor für die Schulentwicklung. Dabei ist der Schritt – eine Leitidee oder Leitlinie in wenigen Sätzen zu formulieren – dadurch schwierig, dass die Fülle so groß ist.
Dabei ist zu beachten, dass die ganz eigene Leitidee auch zur „Sonderleistungsidee“ reifen kann. Was macht uns so einzigartig? Wodurch unterscheiden wir uns eindeutig vom staatlichen Schulkomplex nebenan? Was ist unser „Ätsch“?
Eine ausgeprägte Philosophie, so wie sie bei Waldorfschulen anwesend ist, kann die Märkte und somit die Herzen der Menschen, welche eine Schule suchen, öffnen. Sie führt auch zur Gemeinschaftsbildung: Wir wollen gemeinsam etwas erreichen!
Wie erkennt man uns?
Diese Frage wird mit Hilfe des Corporate Idendity beantwortet. CI bedeutet: Einheitliches Erscheinungsbild, einheitliche Sprache. Auf Briefumschlägen, Briefbögen, Visitenkarten, Plakaten, Klassenzimmertüren, Stundenplänen, Broschüren, Mitteilungen, Notizblöcken, im Internet…
Einheitlich – und angemessen. Selbstverständlich darf sich im Logo, dem Briefkopf und dem Plakat nicht etwas ausdrücken, was den Unternehmenszielen widerspricht. Insofern wird hier ein Grafiker (Übersetzer) gefragt sein, der die wesentlichen Grundmerkmale im sozialen miteinander zu lesen vermag und diese in einer Grafik darstellen kann, welche in der Lage ist dem spontanen Betrachter die im Unternehmen vorhandene emotionale Botschaft zu übermitteln. Andernfalls könnten Attribute (Gestaltungsmerkmale) aus den 1910er Jahren heute modernen Eltern den Eindruck vermitteln: ihr seid hoffnungslos angestaubt.
Wenn diese Arbeit der Findung der Sonderleistungsidee erledigt ist, muss sie konsequent an allen Stellen Anwendung finden. Damit wird der Suchende, der zukünftige Kunde immer wieder auf bestimmte Merkmale aufmerksam, welche er dann, nach der Entscheidung hoffentlich auch in der Schule wiederfindet.
Es macht gar keinen Sinn „Freiheit“ vermitteln zu wollen, wenn diese auch im herkömmlichen Sinn in der Schule nicht unmittelbar zu finden ist. Was bedeutet schon „Freie Waldorfschule“, wenn es in der Schule eben keine Freiheit gibt, weil keinem gestattet wird neue Ideen zu verwirklichen? Es macht keinen Sinn, Vielfalt auszudrücken, wenn sie nicht vorhanden ist.
5 Marketing-Instrumente
Marktforschung
Leistungsangebot
Preis- und Rabattpolitik
Werbung
Verkaufsgespräche
Der „Markt“ ist wichtig. Dabei spielt nicht nur die Frage „Was will das Kind?“ eine Rolle sondern die Frage „Was wollen Kinder momentan?“ und „Wie geht es ihnen momentan damit?“ – Sicher werden Kinder nicht unglücklich sein, wenn sie aus den scheinbar glücklich machenden – und doch verfestigenden Zeitgeistspielen wie Gameboy oder Legos in eine Welt des rhythmischen rollenorientierten Gruppenspieles hineintreten, das sie als ganze Menschen fordert. Wir haben Einzugsgebiete unterschiedlicher Schulen verglichen und dabei bemerkt, dass einzelne Schulen trotz eines kleinen Einzugsgebietes erstaunlich viele Schüler haben, während andere Schulen in großen Einzugsgebiete Schwierigkeiten haben, Schüler zu finden.
Das Leistungsangebot ist damit beschrieben: farbige, greifbare Kinderwelt. Anforderungen aber keine Leistungskataloge, Stützen aber keine banalen Beschäftigungsfelder, Individualismus aber Stärkung der Sozialkompetenz. Ein soziales Miteinander ohne den Einzelnen macht keinen Sinn. Dies kann natürlich nach Lebensalter, Leistungsdifferenzierung und Angebotsvielfalt endlos ergänzt werden. Hierzu gehören neben den Angeboten in Kindergarten, Hort und Ganztagsschule auch alle Bildungsabschlüsse, das künstlerische Angebot und die Praktika. Besonders interessant sind die Kulturangebote wie Orchester und die Erweiterungen (oder Subkulturen) wie Zirkusse, eigene Währungen und so weiter.
Die Preis- und Rabattpolitik ist ein schwieriges Feld. Was kostet es? Das, was es braucht! Also Alles. Ohne Alles geht es nicht – doch: Mit Engagement, mit Begeisterung, mit ganzem Einsatz. Wenn viele das tun, was sie vermögen, wird es schon ausreichen. Regelsätze und Normen gibt es. Preise kann es nicht geben. Je höher der Beitrag, je mehr ist möglich…
Werbung. Die beste Werbung: ich bin zufrieden und sage es weiter. Drei Menschen werden erreicht. Die schlechte Werbung: ich bin unzufrieden und sage es weiter. Fünf Menschen werden erreicht. Die Werbung ist immer da. Sie ist gar nicht wegzudenken. Sinn macht sie nur, wenn sie authentisch ist. Nichts versprechen, das nicht eingehalten wird. Vom Guten allen erzählen: Projekte, Monatsfeiern, Orchesteraufführungen, Zirkus, und so fort. Ansonsten wurden hier bereits drei Antworten gegeben.
Verkaufsgespräche. Wer verkauft unser Produkt? Der Geschäftsführer? Der Öffentlichkeitsarbeiter? – Nein. Verkäufer sind unsere Lehrer. Die langjährige Erfahrung als Geschäftsführer und Lehrer lässt nur diese Interpretation zu. Verkäufer haben mit Kunden zu tun. Sie müssen die Abläufe kennen und das versprochene Angebot auch einhalten. Ohne Beteiligung der Lehrer am Marketingprozess geht es nicht. Insofern sind alle Elternkontakte Verkaufsgespräche.
7.1.2009