Donnerstag, 31. Dezember 2009

Die neuen Meister und ein zweifelnder Geselle

Zum Werke, das wir ernst bereiten,
Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fließt die Arbeit munter fort.
So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
Was durch die schwache Kraft entspringt,
Den schlechten Mann muß man verachten,
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ists ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Daß er im innern Herzen spüret,
Was er erschafft mit seiner Hand.
aus Friedrich Schiller (Das Lied von der Glocke)

Manchmal - vor allem am Morgen - fällt mir etwas ein. Heute waren es die letzten fünf Zeilen der zweiten Strophe vom Lied von der Glocke. Aus ganz unterschiedlichen Gründen fing ich im November an, mich um Mystik zu kümmern. Bis dahin hatte ich keinen oder einen eher konfessionell geprägten Zugang zur Mystik. Sicher, ich war fasziniert von den Waldensern, den Katharern und ebenso von der Atmosphäre im Dom zu Speyer oder der Abtei Romainmotier. Dennoch begegnete ich diesen Eindrücken mit großer Vorsicht. Vor allem wenn es um Salzkristalleuchten im Schulbüro ging...

Im Berufsalltag der Waldorfschule kann ja praktisch jeder Eindruck mystifiziert werden. Das geht, zumal ich weiß, dass immer alles mit allem zusammenhängt. Den Spruch: "Jeder Chef hat die Mitarbeiter, die er verdient", habe ich in Saarbrücken an der IHK (Industrie und Handelskammer) gelernt. Eine andere Erfahrung, welche in eine ähnliche Richtung deutet, kam aus Wuppertal (Sozialakademie): "Es ist wie es ist" und "Alles hat seine Bedeutung".

Im November besuchte ich "Jameos del Agua", den unteren Teil eines 6 km langen Höhlensystems auf Lanzarote. Es war mein erstes Wochenende auf Lanzarote. Da ich gemeinsam mit zwei großen Reisebussen ankam, wartete ich in der ersten großen Vulkanblase, bis die Gruppen weg waren. Die Zeit vertrieb ich mir mit einem Espresso. So saß ich in der Vulkanblase - fast alleine - und ohne dass ich es wollte, fühlte ich mich wie im Dom zu Speyer. Die entsprechende Erklärungen war bald gefunden: Akustik und Windstille. Das war aber wenig befriedigend. Am Ende meines Aufenthaltes in Lanzarote konnte ich zwar nicht die geologischen Vorgänge des Vulkanismus beschreiben, vielmehr jedoch meine Gefühle, mein Denken und Wollen in den Kratern.

Unterschiedliche Strömungen der Psychologie und mehr oder weniger bedeutende Lebensschulen, es gibt ja einige auf dieser modernen Welt (Uwe Mingo, Yehuda Tagar und Roland van Vliet) begegnen mir im Berufsalltag. Oft bin ich dann gefordert, schnell zu urteilen, was sich später manches Mal als Vorurteil  herausstellt. Diese Menschen beziehen sich ja durchaus auf sehr unterschiedliche Inhalte oder Weise. Bei Mingo ist es Valentin Tomberg, bei Yehuda Tagar die "Psychosophie Steiners" und bei Roland van Vliet sind es die Rosenkreuzer.

Wenn mich Freimaurer ängstigen, liegt es wohl daran, dass ich nicht weiß, was sie in Wirklichkeit für Ziele verfolgen (ab und an bemerke ich eklig chauvinistische Züge an Freimaurern). Bei den oben genannten Persönlichkeiten, ist ja wenigstens alles offenbar. Auch wenn der eine oder andere sein Konzept gerne verkaufen will und deshalb nicht alles veröffentlicht oder gar damit wirbt, dass man Geld mit dem zertifizierten System verdienen könne.

Vielleicht sollte ich ganz einfach meinen eigenen Weg suchen und jene Anregungen tolerant aufnehmen, welche durch die neuen Schaffenden gegeben werden. Doch irgendein Reflex hält mich davon ab. Es ist wohl der gleiche, der mir die Vorurteile zuschustert. Und es ist ein alt bekannter Reflex, welcher mich 1983 vor Rudolf Steiner und 10 Jahre später vor Witzenmann warnte. Auch warnte er mich vor mystischen Erfahrungen.

So befinde ich mich am Anfang eines neuen Weges. Bei Rudolf Steiner ist ja sehr interessant, wie sehr die moderne Hirnforschung und die humanistische Psychologie vieles heute von dem bestätigen, was Steiner vor 90 Jahren ohne technische Mittel wie Hirnscanner in seinen Vorträgen beschrieben hat. So wird die achtsamkeitsbasierte Psychotherapie in "Gehirn und Geist", September 2009 beschrieben, welche in interessanter Weise mit der Erkenntnistheorie Witzenmanns und Van Vliets "Ungeteilter Aufmerksamkeit" korrespondiert.

Zwei Dinge werde ich beachten: 1. Keinen Personenkult betreiben. Und 2. Immer darauf achten, dass wie im Lied der Glocke anklingend, Denken, Fühlen und Wollen übereinstimmen.

Und die Zweifel? Sie werden bleiben (dürfen).










Donnerstag, 24. Dezember 2009

Das Jahr 2009

Seit Jahren erhalte ich den Jahresbrief einer meiner Lehrer, Manfred Sliwka. In diesem Jahr entschließe ich mich, meinen eigenen zu schreiben.

Begonnen hat alles mit der Wirtschaftskrise. Dieses Wort hörte ich immer Anfang des Jahres immer wieder. Dabei hatte die Wirtschaft gar keine Krise. Die Krise hatte nichts mit Wirtschaft, sondern mit Lüge zu tun. Und wenn nicht mit Lüge, dann doch mit unverbesserlicher Fehleinschätzung, die zum "System" wurde.

Im Kleinen hatten wir diese Krise bei den Hannoverschen Kassen. Da war es ganz einfach: Grundstücke und Gebäude wurden neu bewertet, das fehlende Geld wurde eingesammelt und da alle ehrlich miteinender umgegangen sind, wurden sogar die Kredite weiter bedient. Somit ist lediglich ein "Buch"-Schaden eingetreten.Und weil man sich in diesen Zusammenhängen sehr ernst nahm wurden die Verantwortlichen auch zur Rechenschaft gezogen. Als sich im Nachhinein herausstellte, dass keiner der Verantwortlichen menschlich falsch gehandelt hat waren alle froh. Begleitet wurde dieser Prozess von einem Beratungsinstitut (Evaluierung).

Im wirklichen Leben war das anders. Die Summen sind zu hoch um sie einfach auszugleichen und die Kredite werden nicht mehr bedient. Fertig? Nein, die Regierungen haben sie bedient. Mit jenem Geld, welches eigentlich für öffentliche Zwecke als Steuern bei uns eingesammelt wird. Und das nun auch die Schulbranche in nie gekanntem Ausmaß mit Geld versorgen wird, welches uns in 10 Jahren fehlt.

Das Merkwürdigste für mich ist bei all dem, dass diese einfachen Zusammenhänge immer so kompliziert erklärt werden. Auch wirklich nicht nachvollziehbar war mir die Rolle der Ratingagenturen. Bedeutet dies eine Krise der neuen Evaluation?

Evaluation begleitete mich durch das Jahr. Einerseits in Form von Supervision und andererseits im Zusammenhang mit meiner Arbeit als Geschäftsführer beim Versuch eigene Projekte ins Leben zu rufen oder diese weiterzubetreiben. Projekte, die gewöhlicherweise unter staatlicher Aufsicht stehen und welche von uns als Schule oder in der Sozialarbeit als "private" Träger im Sinne der Bürgergesellschaft übernommen werden.

Als Michael Landgraf das neue Buch von Grandt über Waldorfschule im evangelischen Kirchblatt rezensierte nahm ich im Auftrag der Regionalen Arbeitsgemeinschaft Kontakt auf. Das Ergebnis des Gespräches war, dass journalistische Arbeit auch bezahlte Arbeit ist und wir am Ende an dem gemessen werden, was wir vorgeben zu tun und dann wirklich tun. Auch hier klingt Evaluation durch. Unsere Arbeit ist dann vollständig, wenn sie Evaluation standhält. Diese vergleicht immer ob die Durchführung der Aufgabe mit den Maßgaben und Parametern erreicht wurde, welche am Anfang gesetzt wurden. Wenn nein, zeigt sie die Abweichungen (Fragen) auf und ändert entsprechend die neuen Ziele damit beim nächsten Mal die Ziele besser erreicht werden.

Auch bei der Begleitung einer Waldorfschule in Gründung waren diese Fragen aufgeleuchtet. Hier war es jedoch wesentlich komplizierter, da Initiativkraft dieses an sich einfache System stört. Aus diesem Grund wollte das saarländische Kultusministerium auch einen Gesetzentwurf einbringen, welcher im Saarland eine Neugründung einer Waldorfschule verunmöglicht hätte. Dies konnte glücklicherweise verhindert werden.

Zum Jahresende wurde es wieder spannend. Nach den Ferien und einer intensiven Arbeitsphase für alle Einrichtungen sind neue Fragen aufgetreten. Merkwürdiger Weise auf der einen Seite durch die Evaluation. Sie brachte die Fragen auf den Punkt und nun müssen sie schmerzlich gelöst werden. Auf der anderen Seite fand keine Evaluation statt und in der Folge gab es eine Kettenreaktion sich steigernder Ereignisse, welche schließlich beinahe zum Kollaps geführt hätten.

So ist ein Jahr vergangen, welches im Rückblick arbeitsreich war. Geholfen hat die Krise, da sie weit mehr das Thema Bildung befördert hat als es die Pisa-Studie je hätte schaffen können. War die Bildungsbranche vor einem Jahr noch eher durch schwindende Schülerzahlen und überalterte Lehrer bedroht, so fließen über Konjunkturpaket und durch das neue Bewusstsein, dass Bildung eine nachhaltige Wertschöpfung für alle bewirkt, nun wieder mehr Gelder in diesen Bereich.

Wir werden sorgsam damit umgehen. Auch weil wir evaluieren.

Eine letzte Facette dieses Themas ist wohl die Diskussion um Inklusion. Im vergangenen Jahr besuchte ich eine Fachtagung zum Thema mit dem Titel: "Die Bordmittel der inklusiven Schule". Wie witzig: die Bordmittel sind vor allem Evaluationsmittel: Fachsupervision, Teamgespräche und Dokumentation.

Die afroamerikanische Feministin Pat Parker hat dies prägnant formuliert: „Erstens: vergiss, dass ich schwarz bin. Zweitens: vergiss nie, dass ich schwarz bin." Ich sage dir: "Bei dieser schwierigen Aufgabe hilft dir Evaluation".

Sonntag, 13. Dezember 2009

Kur in Lanzarote

Die beiden Vokabeln "Lanzarote" und "Kur" widersprechen sich dermaßen, dass ich seit meiner Rückkehr praktisch mit jedem, der mich fragt, ins Gespräch komme. Dabei scheint der Begriff "Lanzarote" vor allem auf Sonne, Urlaub und Freizeit zu verweisen und löst entsprechende Emotionen aus. Der Begriff "Kur" scheint etwas mehr auf Ernsthaftigkeit, Krankheit und Abgeschiedenheit hinzuweisen. Ein leitender Angestellter des Ministeriums nannte das dann "Kurlaub". Aber auch dies wäre nicht zutreffend. Dieser Begriff sagt aus, dass man Urlaub mit dem Vorwand einer Kur macht. Sehr hilfreich, aber wieder daneben, ist die Formulierung "anthroposophische Kur". In diesem Fall darf es ja etwas ernsthafter sein und gleichzeitig ist klar, dass es "anders" ist.

Als ich das erste Mal ernsthaft Anthroposophie begegnete hörte ich folgendes Bild eines baden-württembergischen Bürgermeisters. "Die Anthroposophen sind merkwürdige Leute: Sie schwimmen nicht gegen den Strom und auch nicht mit dem Strom. Sie schwimmen quer zum Strom!" Es war im Jahr 1983 in Stuttgart, Lehrerseminar (heute Freie Hochschule).

Dieses Bild ist bei der Beschreibung der Kur in Lanzarote hilfreich. Das Angebot im Centro de Terapia Anthroposofica ist ein regelrechtes Kurangebot mit eigenem Therapeutikum. Gleichzeitig ist es möglich, das Reizklima der Insel und die Landschaft zu nutzen um sich zu erholen und jede Menge Anregungen zu erhalten.

Dazu kommt Cesar Manrique, dem man immer wieder begegnet und dessen Gestaltungskraft ungebrochen wirkt. Alles in Allem eben Kur und Lanzarote.

Insgesamt durfte ich 28 Tage, im wesentlichen finanziert durch die Hannoversche Unterstützungskasse, in Puerto del Carmen im Centro wohnen. Das Centro bietet 100 Betten in einer typischen Ferienanlage. Dazu kommen das Restaurant, der Bioladen, das Therapeutikum und szenetypische Abendveranstaltungen.

Das Publikum des Centro ist bunt: Familien, Manager, Ehepaare, ältere und jüngere Damen (hängt wenig vom Alter ab), einige wenige Herren (sind alle jung), Fastengruppen, Studiengruppen und natürlich richtige Touristen.

Das Personal kümmert sich nett um alle. Ab und an scheint etwas nicht "zu gehen". Das hält jedoch meiner Erfahrung nach nur eine kleine Zeitspanne an. Dann geht es doch. Fast alle hatten irgendwie Kontakt zur Waldorfschule. Das, und die Tatsache, dass in einer solchen Feriensiedlung nichts geheim bleibt, sorgte für ständigen Gesprächsstoff.

Gleichzeitig waren die Hürden einen Mietwagen oder ein Fahrrad zu teilen sehr niedrig. Das Essen im Centro ist passabel: Frühstücksbüffet, Mittagessen nach Karte und Abendmenü. Vegetarisch zu leben ist problemlos möglich. In den Appartements kann man sich auch selbst verpflegen und im Bioladen einkaufen.

Angefangen hat alles im Therapeutikum. Erstes Arztgespräch, dem viele folgten und welche hilfreich waren. Dazu Heileurythmie, Vitaldrink und Massage. Es gibt einige weitere Angebote wie Vulkanerdepackungen, Rhythmische Massage und ein Therapie-Meerwasserbad. Das Ganze war richtig gut!

Jederzeit war ein etwa 15 minütiger Spaziergang zum Meer möglich. Das Wasser war angenehm warm. Die Strände von Puerto del Carmen geben vieles her und wenn man Bus fährt oder weit geht kommt man auch zu einsameren Sandstränden. Hier begann meine Laufbahn als Wanderer. Erst einmal am Meer entlang.

Am ersten Wochenende mietete ich ein Auto. Das ist recht günstig und nötig, da die Busse Samstag und Sonntag selten fahren. Schnell waren die Sehenswürdigkeiten abgeklappert. El Golfo, Mirador del Rio, Cesar Manriques Wohnhaus, Teguise, Papagayo Strände usw. Die Vulkane wollte ich erst einmal aufsparen. Die Überraschung kam in der Vulkanblase des Jameo del Agua. Ich verbrachte einige Zeit in ihr und plötzlich fühlte ich mich wie in einer Kathedrale.

In der zweiten Woche begann ich zu wandern. Zuerst auf den Montagna Guardilama, später von Yaize nach Femes und damit auf die ersten Vulkane. Später nutzte ich jede Gelegenheit um Vulkane zu besuchen. Immer wieder beeindruckte mich die Akustik. Immer wieder konnte ich die besondere Stimmung auf und in den Vulkanen genießen.

Mit der Zeit lernte ich immer mehr Orte kennen. Einer der Höhepunkte war der Abstieg vom Risco de Famara zu "meinem" Traumstrand, an dem ich badete, als wäre ich 12 Jahre alt. Mit der Zeit fand ich Wandergenossen und die Bereitschaft etwas mehr zu riskieren stieg. Sicher war es an der einen oder anderen Stelle alleine etwas anstrengend. Doch da ich ein Handy hatte und immer viel Wasser bei mir trug, denke ich, dass die Risiken immer einigermaßen niedrig waren.

In der vierten Woche erhielt ich die ersten Nachrichten aus einer der Einrichtungen, für die ich arbeite. Es waren schlechte Nachrichten, das war schnell klar. Ich wußte auch, dass es schwierig wird, wenn ich zurück bin. Das konnte ich gleich nutzen um zu üben. Wie komme ich auf andere Gedanken? Wie bewältige ich den Stress?

Vor der Kur gab es viel Arbeit um vier Wochen Abwesenheit zu organisieren. Alle haben mitgeholfen: Ministerium, Vorstand und die Bank. Als ich zurück war, kam tatsächlich viel Arbeit auf mich zu. Hinzu kamen einige Krankenhausaufenthalte und ein Sterbefall in der Familie meiner Frau. Doch ich war gut vorbereitet und konnte die gestellten Aufgaben so meistern, dass ich fest daran glaube, dass gute Lösungen für alle gefunden werden und wir eine nachhaltige Entwicklung erreichen.

Wer also einmal quer zum Strom schwimmen will um ein neues Ufer zu erreichen, der sollte das Centro besuchen. Und Lanzarote. Sich anregen lassen von Manrique und mit Ramon, dem Ober des Restaurants richtig ausgelassen lachen um gut einzuschlafen.

Reinhard Vieser

Mittwoch, 7. Januar 2009

Öffentlichkeitsarbeit an der Waldorfschule

Als Öffentlichkeitsarbeiter einer Waldorfschule werde ich immer wieder mit der Frage konfrontiert: „Wozu Öffentlichkeitsarbeit?“. Diese Frage entsteht sowohl aus meinem eigenen Verständnis von Waldorfschule, als auch aus dem Kollegium. Wollen wir uns anbiedern? Haben wir so wenig natürlichen Zulauf, dass wir Werbung machen müssen?

Um diese Frage wirklich beantworten zu können, möchte ich zwei Beispiele nennen, welche mir in den letzten Jahren begegnet sind.

Die Jahresarbeit einer meiner Töchter führte uns ins Vitra Design Museum nach Weil am Rhein. Vitra wurde 1950 in der Schweiz als Familienunternehmen gegründet. Rolf Fehlbaum übernahm 1977 die Leitung und durch bestimmte Umstände wurde die Produktionsstätte nach Deutschland verlagert. Die Produktionshallen und das Vitra Design Museum wurden von namhaften Architekten gebaut: Gehry, Citterio, Grimshaw, Ando, Hadid und Siza. Zunächst ist es sehr erstaunlich, dass Produktionshallen von derart herausragenden Architektinnen und Architekten gebaut werden. Das ist doch teuer und wozu gestaltete Produktionshallen? Vitra benötigt jedoch keine Werbung um das Geld zu verdienen um diese Architektur zu bezahlen. Die Auftragsbücher sind übervoll, neue Produktionshallen und Erweiterungen sind geplant. Man produziert für die besten Architekten, mit begehrtesten Lizenzen - hochwertige Möbel. Werbung braucht es nicht. Sie wäre eher hinderlich, weil noch mehr Kunden kämen und die Ware noch rarer würde.

Anders beim Restaurant in der Balinger Straße in Laufen (Altstadt). Wir waren mit der Familie auf dem Hörnle (Ausflug mit der in Balingen aufgewachsenen Oma nach einer Operation mit etwa der Hälfte der vielen Enkelkinder). Auf der Rückfahrt wollten wir noch etwas essen gehen. In Laufen haben wir uns verfahren und standen plötzlich vor einem alten Gasthaus. Es hatte geöffnet und wir bekamen frisch zubereitete schwäbische Spezialitäten. Das ältere Ehepaar war vor allem von den Kindern angetan und wir kamen ins Gespräch. Seit die B463 ausgebaut wurde gibt es keine Kundschaft mehr. Schon mehrere Gasthäuser haben in Laufen geschlossen. Wir haben hohe Qualität und ein gemütliches Gasthaus erlebt, welches es inzwischen nicht mehr gibt weil die Kunden ausbleiben.

Bezogen auf unsere Schulen können beide Situationen gefunden werden: Waldorfschulen mit hoher Qualität und Zulauf und Waldorfschulen mit hoher Qualität und fehlendem Zulauf. Deutlich wird, dass die letzteren eben auf sich aufmerksam machen müssen um Schüler zu bekommen. Wenn man bedenkt, wie umständlich Weil am Rhein zu erreichen ist und wie viele Menschen dort hin fahren, wird klar, dass die abgelegene örtliche Situation nicht unbedingt bedeutet, dass ein Gasthaus schließen muss.

Somit wäre eine erste Antwort gefunden: Öffentlichkeitsarbeit hilft Eltern dabei die Schule für ihre Kinder zu finden, welche sie suchen. Sie hilft Eltern beim Vergleich unterschiedlicher Schulformen. Aus der Praxis einer heilpädagogischen Schule kann hier berichtet werden, dass an dieser Schule 5,6 % aller Sonderschüler des Landes unterrichtet werden. Dabei stellen wir noch immer fest, dass selbst Eltern aus der nächsten Nähe die Schule nicht kennen (und somit nicht als Alternative für ihre Kinder in Erwägung ziehen). Wir werden also weiter auf uns aufmerksam machen. Zumal die Belegung der unteren Klassen nach wie vor Reserven aufweist. Um die 10 Schüler regelmäßig in die erste Klasse zu bekommen nehmen wir in Kauf, dass sich für die Klassenstufe 5 lange Wartelisten bilden und etwa 100 Beratungsgespräche pro Jahr geführt werden müssen.

Auf sich aufmerksam machen heißt für sich werben. Was bedeutet Werbung? Die Schule hat im eigentlichen Sinn kein „Produkt“. Es gibt möglicherweise keinen „Verkäufer“ und der „Preis“ kann nicht einfach festgelegt werden. Vokabeln aus dem Marketing versuche ich im Folgenden zu übersetzen.

Am Anfang jedes Unternehmertums steht das Unternehmensziel. Ist die Waldorfschule ein Unternehmen? Sicherlich ist die Waldorfschule ein besonderes Unternehmen. Eine freie Initiative, welche noch dazu Aufgaben übernimmt, welche sonst der Staat verwaltet. Das Ziel ist: Unterrichten von Kindern; Veränderung (Erneuerung) der Gesellschaft über Bildung; Förderung der Waldorfpädagogik usw.

Daraus lassen sich weitere Ziele entwickeln, welche zeitnah, aktuell die einzelne Schule betreffen: Erweiterung zur Ganztagsschule, Ausbau der Oberstufe, Neugestaltung der Unterstufe, Erweiterung der Abschlüsse, Bau einer Turnhalle usw.

Auch können Zielkonflikte auftreten. Diese sind etwa beim Aufbau einer neuen Schule derzeit in der Demografischen Gesamtentwicklung zu sehen. „Warum brauchen wir eine neue Schule? Momentan werden doch Grundschulen geschlossen.“

Die öffentliche Meinung spielt immer eine Rolle, weil sich das Unternehmen, die Schule in einem sozialen Kontext befindet. Dieser Kontext muss sich in der Öffentlichkeitsarbeit wiederfinden. – Er wird ganz bewusst aufgegriffen um ihn zu verändern, bzw. zu erweitern (etwa durch Qualität).

Ein Zusammenhang zwischen den Zielen und der Gesellschaft und den Zielen des Unternehmens muss hergestellt werden. Hierbei sind die Wünsche der „Kunden“ – also Eltern oder Schüler genauso zu berücksichtigen, wie das „Angebot“ („Produkt“) der Lehrer in Form von Unterricht.

Dazu ist es wichtig, dass das Image der Schule oder der gesamten Waldorfschulbewegung mit Attributen belegt ist, welche deutlich machen, dass es sich nicht um sture, fertige, weltanschauliche, steife, starre, chauvinistische, altmodische, verstaubte, unredliche, justiziable Werte, sondern um lebendige, prozessuale, lebendige, vielfältige, methodische und erlebnisreiche, menschliche Werte, vermittelt von Menschen mit fester Weltanschauung, stabiler sozialer Integration, solider Ausbildung (auch wenn sie nicht identisch mit der staatlichen Ausbildung ist), fähig im Umgang mit Ressourcen und strotzender Gesundheit (auch der Lehrer) handelt.

Dies wäre eine weitere Antwort: Öffentlichkeitsarbeit hilft Eltern dabei die Ziele der Schule zu erkennen und sich mit ihnen zu verbinden. Da das Image der Waldorfschule in der Öffentlichkeit nicht einfach dem Selbstbild einer Schule entspricht hilft sie weiterhin dieses Bild den tatsächlichen Verhältnissen anzugleichen.


Das Marketing

Grundeinstellung, Verhaltensweise, Methode

Marketing an der Waldorfschule bedeutet: Kommunikation der Grundwerte unter Darstellung der besonderen Verhältnisse für jene Menschen, welche zwar die Unternehmung Waldorfschule benötigen, sie aber noch nicht bemerkt oder nicht in dieser Form bemerkt haben.

Wo sind die Menschen, welche eine Schule – möglichst unter guten Voraussetzungen – also „die Waldorfpädagogik suchend“ brauchen. Oder besser: Eltern, welche den Auftrag ihrer Kinder, welcher bereits im vorgeburtlichen ergangen ist: „hilf mir mein Karma zu verwirklichen indem du mich auf eine Schule schickst, welche Möglichkeiten und Fähigkeiten fördert“ zu finden.

Die Einstellung, dass „…der Markt als lästige Angelegenheit angesehen wird, in dem noch lästigere Arbeitnehmer (oder Mitgesellschafter) auch noch Wünsche haben, deren Befriedigung nur zur Störung des Produktionsablaufes führt“ (Dr. Ernst Kulhavy, Linz), kann nicht zu einem guten Miteinander führen. Auch nicht in der Waldorfschule.

Um Harmonie zwischen „Markt“ und „Unternehmen“ herzustellen gibt es zwei Wege: aktiv und reaktiv. Marketing kann aktiv – forschend, immer wieder abgleichend die Wünsche der Eltern und Kinder berücksichtigen und dazu führen, dass neue Einrichtungen wie Hort oder Ganztagsschule geschaffen werden. Reaktives Marketing wäre immer nur Nachbesserung, eingeschränktes Reagieren (im schlechtesten Fall juristisch).

Wer aktives Marketing will, muss

Die Leistungsfähigkeit des Unternehmens kennen
Marktanalyse, Marktforschung und Marktbeobachtung treiben
Seine Angebote auf die Zielgruppen ausrichten
Seine finanziellen Möglichkeiten kennen
Kommunikation und Werbung betreiben
Seine Kontakte zu den Kunden gestalten
Die Grenzen des Machbaren kennen
Entwicklung und Selbstreflexion betreiben


Wer sind wir?

Diese Stelle ist – was Waldorfschulen angeht die stärkste Stelle. Jede Schule weiß genau was sie will. Diese Willensbildung ist Grundvoraussetzung und Motor für die Schulentwicklung. Dabei ist der Schritt – eine Leitidee oder Leitlinie in wenigen Sätzen zu formulieren – dadurch schwierig, dass die Fülle so groß ist.

Dabei ist zu beachten, dass die ganz eigene Leitidee auch zur „Sonderleistungsidee“ reifen kann. Was macht uns so einzigartig? Wodurch unterscheiden wir uns eindeutig vom staatlichen Schulkomplex nebenan? Was ist unser „Ätsch“?

Eine ausgeprägte Philosophie, so wie sie bei Waldorfschulen anwesend ist, kann die Märkte und somit die Herzen der Menschen, welche eine Schule suchen, öffnen. Sie führt auch zur Gemeinschaftsbildung: Wir wollen gemeinsam etwas erreichen!

Wie erkennt man uns?

Diese Frage wird mit Hilfe des Corporate Idendity beantwortet. CI bedeutet: Einheitliches Erscheinungsbild, einheitliche Sprache. Auf Briefumschlägen, Briefbögen, Visitenkarten, Plakaten, Klassenzimmertüren, Stundenplänen, Broschüren, Mitteilungen, Notizblöcken, im Internet…

Einheitlich – und angemessen. Selbstverständlich darf sich im Logo, dem Briefkopf und dem Plakat nicht etwas ausdrücken, was den Unternehmenszielen widerspricht. Insofern wird hier ein Grafiker (Übersetzer) gefragt sein, der die wesentlichen Grundmerkmale im sozialen miteinander zu lesen vermag und diese in einer Grafik darstellen kann, welche in der Lage ist dem spontanen Betrachter die im Unternehmen vorhandene emotionale Botschaft zu übermitteln. Andernfalls könnten Attribute (Gestaltungsmerkmale) aus den 1910er Jahren heute modernen Eltern den Eindruck vermitteln: ihr seid hoffnungslos angestaubt.

Wenn diese Arbeit der Findung der Sonderleistungsidee erledigt ist, muss sie konsequent an allen Stellen Anwendung finden. Damit wird der Suchende, der zukünftige Kunde immer wieder auf bestimmte Merkmale aufmerksam, welche er dann, nach der Entscheidung hoffentlich auch in der Schule wiederfindet.

Es macht gar keinen Sinn „Freiheit“ vermitteln zu wollen, wenn diese auch im herkömmlichen Sinn in der Schule nicht unmittelbar zu finden ist. Was bedeutet schon „Freie Waldorfschule“, wenn es in der Schule eben keine Freiheit gibt, weil keinem gestattet wird neue Ideen zu verwirklichen? Es macht keinen Sinn, Vielfalt auszudrücken, wenn sie nicht vorhanden ist.

5 Marketing-Instrumente

Marktforschung
Leistungsangebot
Preis- und Rabattpolitik
Werbung
Verkaufsgespräche

Der „Markt“ ist wichtig. Dabei spielt nicht nur die Frage „Was will das Kind?“ eine Rolle sondern die Frage „Was wollen Kinder momentan?“ und „Wie geht es ihnen momentan damit?“ – Sicher werden Kinder nicht unglücklich sein, wenn sie aus den scheinbar glücklich machenden – und doch verfestigenden Zeitgeistspielen wie Gameboy oder Legos in eine Welt des rhythmischen rollenorientierten Gruppenspieles hineintreten, das sie als ganze Menschen fordert. Wir haben Einzugsgebiete unterschiedlicher Schulen verglichen und dabei bemerkt, dass einzelne Schulen trotz eines kleinen Einzugsgebietes erstaunlich viele Schüler haben, während andere Schulen in großen Einzugsgebiete Schwierigkeiten haben, Schüler zu finden.

Das Leistungsangebot ist damit beschrieben: farbige, greifbare Kinderwelt. Anforderungen aber keine Leistungskataloge, Stützen aber keine banalen Beschäftigungsfelder, Individualismus aber Stärkung der Sozialkompetenz. Ein soziales Miteinander ohne den Einzelnen macht keinen Sinn. Dies kann natürlich nach Lebensalter, Leistungsdifferenzierung und Angebotsvielfalt endlos ergänzt werden. Hierzu gehören neben den Angeboten in Kindergarten, Hort und Ganztagsschule auch alle Bildungsabschlüsse, das künstlerische Angebot und die Praktika. Besonders interessant sind die Kulturangebote wie Orchester und die Erweiterungen (oder Subkulturen) wie Zirkusse, eigene Währungen und so weiter.

Die Preis- und Rabattpolitik ist ein schwieriges Feld. Was kostet es? Das, was es braucht! Also Alles. Ohne Alles geht es nicht – doch: Mit Engagement, mit Begeisterung, mit ganzem Einsatz. Wenn viele das tun, was sie vermögen, wird es schon ausreichen. Regelsätze und Normen gibt es. Preise kann es nicht geben. Je höher der Beitrag, je mehr ist möglich…

Werbung. Die beste Werbung: ich bin zufrieden und sage es weiter. Drei Menschen werden erreicht. Die schlechte Werbung: ich bin unzufrieden und sage es weiter. Fünf Menschen werden erreicht. Die Werbung ist immer da. Sie ist gar nicht wegzudenken. Sinn macht sie nur, wenn sie authentisch ist. Nichts versprechen, das nicht eingehalten wird. Vom Guten allen erzählen: Projekte, Monatsfeiern, Orchesteraufführungen, Zirkus, und so fort. Ansonsten wurden hier bereits drei Antworten gegeben.

Verkaufsgespräche. Wer verkauft unser Produkt? Der Geschäftsführer? Der Öffentlichkeitsarbeiter? – Nein. Verkäufer sind unsere Lehrer. Die langjährige Erfahrung als Geschäftsführer und Lehrer lässt nur diese Interpretation zu. Verkäufer haben mit Kunden zu tun. Sie müssen die Abläufe kennen und das versprochene Angebot auch einhalten. Ohne Beteiligung der Lehrer am Marketingprozess geht es nicht. Insofern sind alle Elternkontakte Verkaufsgespräche.

7.1.2009