Seit Jahren erhalte ich den Jahresbrief einer meiner Lehrer, Manfred Sliwka. In diesem Jahr entschließe ich mich, meinen eigenen zu schreiben.
Begonnen hat alles mit der Wirtschaftskrise. Dieses Wort hörte ich immer Anfang des Jahres immer wieder. Dabei hatte die Wirtschaft gar keine Krise. Die Krise hatte nichts mit Wirtschaft, sondern mit Lüge zu tun. Und wenn nicht mit Lüge, dann doch mit unverbesserlicher Fehleinschätzung, die zum "System" wurde.
Im Kleinen hatten wir diese Krise bei den Hannoverschen Kassen. Da war es ganz einfach: Grundstücke und Gebäude wurden neu bewertet, das fehlende Geld wurde eingesammelt und da alle ehrlich miteinender umgegangen sind, wurden sogar die Kredite weiter bedient. Somit ist lediglich ein "Buch"-Schaden eingetreten.Und weil man sich in diesen Zusammenhängen sehr ernst nahm wurden die Verantwortlichen auch zur Rechenschaft gezogen. Als sich im Nachhinein herausstellte, dass keiner der Verantwortlichen menschlich falsch gehandelt hat waren alle froh. Begleitet wurde dieser Prozess von einem Beratungsinstitut (Evaluierung).
Im wirklichen Leben war das anders. Die Summen sind zu hoch um sie einfach auszugleichen und die Kredite werden nicht mehr bedient. Fertig? Nein, die Regierungen haben sie bedient. Mit jenem Geld, welches eigentlich für öffentliche Zwecke als Steuern bei uns eingesammelt wird. Und das nun auch die Schulbranche in nie gekanntem Ausmaß mit Geld versorgen wird, welches uns in 10 Jahren fehlt.
Das Merkwürdigste für mich ist bei all dem, dass diese einfachen Zusammenhänge immer so kompliziert erklärt werden. Auch wirklich nicht nachvollziehbar war mir die Rolle der Ratingagenturen. Bedeutet dies eine Krise der neuen Evaluation?
Evaluation begleitete mich durch das Jahr. Einerseits in Form von Supervision und andererseits im Zusammenhang mit meiner Arbeit als Geschäftsführer beim Versuch eigene Projekte ins Leben zu rufen oder diese weiterzubetreiben. Projekte, die gewöhlicherweise unter staatlicher Aufsicht stehen und welche von uns als Schule oder in der Sozialarbeit als "private" Träger im Sinne der Bürgergesellschaft übernommen werden.
Als Michael Landgraf das neue Buch von Grandt über Waldorfschule im evangelischen Kirchblatt rezensierte nahm ich im Auftrag der Regionalen Arbeitsgemeinschaft Kontakt auf. Das Ergebnis des Gespräches war, dass journalistische Arbeit auch bezahlte Arbeit ist und wir am Ende an dem gemessen werden, was wir vorgeben zu tun und dann wirklich tun. Auch hier klingt Evaluation durch. Unsere Arbeit ist dann vollständig, wenn sie Evaluation standhält. Diese vergleicht immer ob die Durchführung der Aufgabe mit den Maßgaben und Parametern erreicht wurde, welche am Anfang gesetzt wurden. Wenn nein, zeigt sie die Abweichungen (Fragen) auf und ändert entsprechend die neuen Ziele damit beim nächsten Mal die Ziele besser erreicht werden.
Auch bei der Begleitung einer Waldorfschule in Gründung waren diese Fragen aufgeleuchtet. Hier war es jedoch wesentlich komplizierter, da Initiativkraft dieses an sich einfache System stört. Aus diesem Grund wollte das saarländische Kultusministerium auch einen Gesetzentwurf einbringen, welcher im Saarland eine Neugründung einer Waldorfschule verunmöglicht hätte. Dies konnte glücklicherweise verhindert werden.
Zum Jahresende wurde es wieder spannend. Nach den Ferien und einer intensiven Arbeitsphase für alle Einrichtungen sind neue Fragen aufgetreten. Merkwürdiger Weise auf der einen Seite durch die Evaluation. Sie brachte die Fragen auf den Punkt und nun müssen sie schmerzlich gelöst werden. Auf der anderen Seite fand keine Evaluation statt und in der Folge gab es eine Kettenreaktion sich steigernder Ereignisse, welche schließlich beinahe zum Kollaps geführt hätten.
So ist ein Jahr vergangen, welches im Rückblick arbeitsreich war. Geholfen hat die Krise, da sie weit mehr das Thema Bildung befördert hat als es die Pisa-Studie je hätte schaffen können. War die Bildungsbranche vor einem Jahr noch eher durch schwindende Schülerzahlen und überalterte Lehrer bedroht, so fließen über Konjunkturpaket und durch das neue Bewusstsein, dass Bildung eine nachhaltige Wertschöpfung für alle bewirkt, nun wieder mehr Gelder in diesen Bereich.
Wir werden sorgsam damit umgehen. Auch weil wir evaluieren.
Eine letzte Facette dieses Themas ist wohl die Diskussion um Inklusion. Im vergangenen Jahr besuchte ich eine Fachtagung zum Thema mit dem Titel: "Die Bordmittel der inklusiven Schule". Wie witzig: die Bordmittel sind vor allem Evaluationsmittel: Fachsupervision, Teamgespräche und Dokumentation.
Die afroamerikanische Feministin Pat Parker hat dies prägnant formuliert: „Erstens: vergiss, dass ich schwarz bin. Zweitens: vergiss nie, dass ich schwarz bin." Ich sage dir: "Bei dieser schwierigen Aufgabe hilft dir Evaluation".
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