Die beiden Vokabeln "Lanzarote" und "Kur" widersprechen sich dermaßen, dass ich seit meiner Rückkehr praktisch mit jedem, der mich fragt, ins Gespräch komme. Dabei scheint der Begriff "Lanzarote" vor allem auf Sonne, Urlaub und Freizeit zu verweisen und löst entsprechende Emotionen aus. Der Begriff "Kur" scheint etwas mehr auf Ernsthaftigkeit, Krankheit und Abgeschiedenheit hinzuweisen. Ein leitender Angestellter des Ministeriums nannte das dann "Kurlaub". Aber auch dies wäre nicht zutreffend. Dieser Begriff sagt aus, dass man Urlaub mit dem Vorwand einer Kur macht. Sehr hilfreich, aber wieder daneben, ist die Formulierung "anthroposophische Kur". In diesem Fall darf es ja etwas ernsthafter sein und gleichzeitig ist klar, dass es "anders" ist.
Als ich das erste Mal ernsthaft Anthroposophie begegnete hörte ich folgendes Bild eines baden-württembergischen Bürgermeisters. "Die Anthroposophen sind merkwürdige Leute: Sie schwimmen nicht gegen den Strom und auch nicht mit dem Strom. Sie schwimmen quer zum Strom!" Es war im Jahr 1983 in Stuttgart, Lehrerseminar (heute Freie Hochschule).
Dieses Bild ist bei der Beschreibung der Kur in Lanzarote hilfreich. Das Angebot im Centro de Terapia Anthroposofica ist ein regelrechtes Kurangebot mit eigenem Therapeutikum. Gleichzeitig ist es möglich, das Reizklima der Insel und die Landschaft zu nutzen um sich zu erholen und jede Menge Anregungen zu erhalten.
Dazu kommt Cesar Manrique, dem man immer wieder begegnet und dessen Gestaltungskraft ungebrochen wirkt. Alles in Allem eben Kur und Lanzarote.
Insgesamt durfte ich 28 Tage, im wesentlichen finanziert durch die Hannoversche Unterstützungskasse, in Puerto del Carmen im Centro wohnen. Das Centro bietet 100 Betten in einer typischen Ferienanlage. Dazu kommen das Restaurant, der Bioladen, das Therapeutikum und szenetypische Abendveranstaltungen.
Das Publikum des Centro ist bunt: Familien, Manager, Ehepaare, ältere und jüngere Damen (hängt wenig vom Alter ab), einige wenige Herren (sind alle jung), Fastengruppen, Studiengruppen und natürlich richtige Touristen.
Das Personal kümmert sich nett um alle. Ab und an scheint etwas nicht "zu gehen". Das hält jedoch meiner Erfahrung nach nur eine kleine Zeitspanne an. Dann geht es doch. Fast alle hatten irgendwie Kontakt zur Waldorfschule. Das, und die Tatsache, dass in einer solchen Feriensiedlung nichts geheim bleibt, sorgte für ständigen Gesprächsstoff.
Gleichzeitig waren die Hürden einen Mietwagen oder ein Fahrrad zu teilen sehr niedrig. Das Essen im Centro ist passabel: Frühstücksbüffet, Mittagessen nach Karte und Abendmenü. Vegetarisch zu leben ist problemlos möglich. In den Appartements kann man sich auch selbst verpflegen und im Bioladen einkaufen.
Angefangen hat alles im Therapeutikum. Erstes Arztgespräch, dem viele folgten und welche hilfreich waren. Dazu Heileurythmie, Vitaldrink und Massage. Es gibt einige weitere Angebote wie Vulkanerdepackungen, Rhythmische Massage und ein Therapie-Meerwasserbad. Das Ganze war richtig gut!
Jederzeit war ein etwa 15 minütiger Spaziergang zum Meer möglich. Das Wasser war angenehm warm. Die Strände von Puerto del Carmen geben vieles her und wenn man Bus fährt oder weit geht kommt man auch zu einsameren Sandstränden. Hier begann meine Laufbahn als Wanderer. Erst einmal am Meer entlang.
Am ersten Wochenende mietete ich ein Auto. Das ist recht günstig und nötig, da die Busse Samstag und Sonntag selten fahren. Schnell waren die Sehenswürdigkeiten abgeklappert. El Golfo, Mirador del Rio, Cesar Manriques Wohnhaus, Teguise, Papagayo Strände usw. Die Vulkane wollte ich erst einmal aufsparen. Die Überraschung kam in der Vulkanblase des Jameo del Agua. Ich verbrachte einige Zeit in ihr und plötzlich fühlte ich mich wie in einer Kathedrale.
In der zweiten Woche begann ich zu wandern. Zuerst auf den Montagna Guardilama, später von Yaize nach Femes und damit auf die ersten Vulkane. Später nutzte ich jede Gelegenheit um Vulkane zu besuchen. Immer wieder beeindruckte mich die Akustik. Immer wieder konnte ich die besondere Stimmung auf und in den Vulkanen genießen.
Mit der Zeit lernte ich immer mehr Orte kennen. Einer der Höhepunkte war der Abstieg vom Risco de Famara zu "meinem" Traumstrand, an dem ich badete, als wäre ich 12 Jahre alt. Mit der Zeit fand ich Wandergenossen und die Bereitschaft etwas mehr zu riskieren stieg. Sicher war es an der einen oder anderen Stelle alleine etwas anstrengend. Doch da ich ein Handy hatte und immer viel Wasser bei mir trug, denke ich, dass die Risiken immer einigermaßen niedrig waren.
In der vierten Woche erhielt ich die ersten Nachrichten aus einer der Einrichtungen, für die ich arbeite. Es waren schlechte Nachrichten, das war schnell klar. Ich wußte auch, dass es schwierig wird, wenn ich zurück bin. Das konnte ich gleich nutzen um zu üben. Wie komme ich auf andere Gedanken? Wie bewältige ich den Stress?
Vor der Kur gab es viel Arbeit um vier Wochen Abwesenheit zu organisieren. Alle haben mitgeholfen: Ministerium, Vorstand und die Bank. Als ich zurück war, kam tatsächlich viel Arbeit auf mich zu. Hinzu kamen einige Krankenhausaufenthalte und ein Sterbefall in der Familie meiner Frau. Doch ich war gut vorbereitet und konnte die gestellten Aufgaben so meistern, dass ich fest daran glaube, dass gute Lösungen für alle gefunden werden und wir eine nachhaltige Entwicklung erreichen.
Wer also einmal quer zum Strom schwimmen will um ein neues Ufer zu erreichen, der sollte das Centro besuchen. Und Lanzarote. Sich anregen lassen von Manrique und mit Ramon, dem Ober des Restaurants richtig ausgelassen lachen um gut einzuschlafen.
Reinhard Vieser
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